«Die Schweiz wartet, studiert, analysiert, schreibt Berichte» – das war der SIPOL 2025
«Die Schweiz wartet, studiert, analysiert, schreibt Berichte» – das war der SIPOL 2025Die Offiziersgesellschaft Aarau lud zum sicherheitspolitischen Grossanlass 2025 im Power Inn der eniwa in Buchs AG. Dabei stellten sich alle Referenten und Podiumsteilnehmer der dringenden Frage: Wann rüstet die Schweiz endlich auf?
Der grösste SIPOL aller Zeiten mobilisierte 250 Besucher jeglicher Couleur, um den brennenden Ausführungen und Diskussionen beizuwohnen.
Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurden für den diesjährigen SIPOL einige erweiterte Sicherheitsvorkehrungen getroffen - unter anderem markierte die Kantonspolizei Aargau Präsenz im Bereich um den Anlass, und eine Eingangskontrolle stellte sicher, dass keine unerwünschten Gegenstände an den Anlass geführt wurden. Grund dafür waren vermehrte Störungen von Anlässen in der nahen Vergangenheit, die teils auch themenfremd waren und nur um der Störung Willen ausgeführt wurden. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass der Anlass ruhig und planmässig durchgeführt werden konnte.
Frisch wie eh und je trat zuerst alt Bundesrat Dr. Christoph Blocher ans Rednerpult. Einleitend hob er den historischen Stellenwert der Neutralität hervor, die uns insbesondere in den beiden Weltkriegen davor bewahrt hat, den Krieg ins Land zu tragen.
Anschliessend ging er auf die wesentlichen Punkte seiner Neutralitätsinitiative ein, welche demnächst im Parlament behandelt und anschliessend dem Volk zur Abstimmung unterbreitet wird. Speziell betonte er, welche Teile davon nur festhalten, was bereits heute praktiziert und gelebt wird, und welche Teile eine Änderung im internationalen Umgang zur Folge hätten.
Blocher hob aber auch hervor, dass das Hauptziel sei, die Schweiz in der internationalen Wahrnehmung neutral zu präsentieren. Er führte als Beispiel sowohl russische als auch US-amerikanische Schlagzeilen an, die der Schweiz nach der Unterstützung von Sanktionen gegen Russland eine «Abkehr von der neutralen Haltung» attestierten.
Hingegen betonte Blocher klar die Bereitschaft für eine Lockerung von Exportbestimmungen – konkret die Abschaffung des Wiederausfuhrverbotes von Rüstungsgütern: «Wenn jemand etwas kauft, ist er Eigentümer – wenn er Eigentümer ist, darf er mit seinem Eigentum machen, was er will.». Käufer schweizerischer Rüstungsgüter werden vorgängig sorgfältig geprüft, aber sobald sie als Abnehmer zugelassen würden, dürfe man ihnen keine weiteren Vorschriften machen.
Zur Frage der Aufrüstung der Armee monierte Blocher, es sei zuerst das in Ordnung zu bringen, was bereits vorhanden sei: Panzertruppen, die ohne Panzer Dienst tun müssen, sowie chronisch unterbesetzte Verbände, die kaum die Hälfte der Sollbestände erreichen. Auch die Abgabe von Taschenmunition, die durch Antrag von Alt Bundesrat Schmid abgeschafft wurde, sei lächerlich: «Wenn man ihnen keine Munition abgibt, warum gibt man ihnen dann das Gewehr mit nach Hause?» Dem Soldaten habe man schlicht kein Vertrauen mehr geschenkt, und das sei in erster Linie zu korrigieren.
«Während in Grossbritannien aktuell sieben Munitionsfabriken aufgebaut werden, sind wir daran, zwei zu verlieren». Mit diesen Worten eröffnete Rüstungschef Dr. Urs Loher sein Referat. Er stelle sich dieselbe Frage wie die OG Aarau: Wann rüstet die Schweiz endlich auf?
Mit einem Blick zurück zeige sich historisch, dass die Schweizer Strategie der letzten Jahrhunderte ausschliesslich «Glück und Hoffnung» war: Während des Deutsch-Französischen Krieges 1871, als die kantonalen Truppen im Nordwesten zusammengezogen wurden, zeigte sich schonungslos, wie mangelhaft die Ausrüstung der Eidgenossenschaft war. Nur durch viel Glück und einigen gelungenen Bluffs seitens der Eidgenossen (geführt von General Hans Herzog, Gründungsmitglied der OG Aarau; Anm. d. Autors) gelang es, den Konflikt ausserhalb der Landesgrenzen zu halten. Auch im ersten Weltkrieg hatte die Schweiz keine Vorräte, keine modernen Waffen und nur eine improvisierte Verteidigung. Im zweiten Weltkrieg rüstete die Schweiz erst unter Kriegsdruck auf, als der Polenfeldzug bereits im Gange war. Die geistige Landesverteidigung und das Reduit wurden erst während des Krieges aufgebaut.
«Glück und Hoffnung» können keine Strategie sein. Wer erst dann handle, wenn die erste Granate einschlägt, habe im Zweifelsfall bereits verloren. Neutralität schütze nur dann, wenn sie glaubwürdig und bewaffnet sei.
Loher attestierte der Schweiz, strukturell, industriell und auch medial zu langsam unterwegs und gefährlich abhängig vom Ausland zu sein. Sie müsse «jetzt handeln – wirklich jetzt».
Zwischen Beschluss und Einsatzfähigkeit eines Systems lagen früher 7-12 Jahre – aktuell sei aufgrund fragwürdiger Lieferketten und der Komplexität der Systeme eher mit mehr Zeit zu rechnen: «Die Schweiz ist chronisch zu spät».
Im Gegensatz dazu läge die Innovationszeit in der Ukraine aktuell bei unglaublichen 1-2 Wochen. Ukrainische Firmen verkaufen keine Produkte mehr, sondern die Fähigkeit, bestehende Produkte an die neusten Bedrohungen und Entwicklungen anzupassen. Eine Abhängigkeit vom Ausland in dieser Hinsicht sei mehr als fatal: «Das Ausland priorisiert uns nicht. In den USA haben wir aktuell Priorität 13 von 15». Unsere heutigen Munitionsvorräte reichen gerade mal für die Ausbildung. «Alles was wir heute nicht bestellen, fehlt uns 2035. Alles was wir heute verlieren und nicht mehr produzieren, ist verloren und kommt nicht mehr ohne Weiteres zurück», meinte Loher. Und wie fragil die Lieferketten in Krisenzeiten seien, habe uns COVID zur Genüge gezeigt.
Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen behindern mehr, als dass sie ermöglichen. Die Schweizer Rüstungsindustrie leide vor allem darunter, dass man Abnehmern schweizerischer Systeme im Verteidigungsfall keine Ersatzteile mehr liefern dürfe. «Die Schweiz reguliert sich kaputt», so Loher.
Zusammenfassend meint Loher: «Glück und Hoffnung sind keine Strategie». Die Frage sei nicht, ob wir jetzt aufrüsten möchten, sondern ob wir in zehn Jahren unser Schicksal noch selber bestimmen möchten.
In der anschliessenden Podiumsdiskussion wurde rege darüber diskutiert, welcher Weg denn nun der richtige sei. Moderiert wurde sie von Andy Müller, SRF Bundeshausredaktor. Es diskutierten folgende Persönlichkeiten:
- Ständerat Werner Salzmann, Mitglied «Sicherheitspolitische Kommission», SVP Bern
- Nationalrat Gerhard Andrey, Mitglied «Sicherheitspolitische Kommission», Grüne Freiburg
- Oberst i Gst Michele Moor, Präsident «Schweizerische Offiziersgesellschaft»
- Joris Fricker, Sekretär «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA», JUSO Basel-Stadt
Es zeigte sich schnell, dass die Frage, wann die Schweiz denn aufrüsten würde, noch nicht zu klären sei, da die darunterliegende Grundsatzfrage, ob denn die Schweiz überhaupt aufrüsten solle, noch nicht geklärt sei.
Den kleinsten gemeinsamen Nenner des Abends formulierte Nationalrat Andrey treffend: «Ich wünsche mir natürlich eine Welt, in der wir ohne Armeen auskommen und keine Kriege hätten – ich glaube, niemand hier drin wünscht sich im Endeffekt nicht auch eine solche Welt». Im weiteren Diskussionsverlauf wurde allerdings deutlich, dass Mittel und Wege, dieses Ziel zu erreichen, unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der ganze SIPOL im Video
SIPOL 2025 – ein Meilenstein
Der diesjährige SIPOL hat wiederum alles Zuvorgewesene in den Schatten gestellt. Um dieses hohe Niveau an hochkarätigen Gästen und Referenten halten zu können, setzen wir bewusst auf öffentliche Ausstrahlung bei gleichzeitiger Wahrung einer neutralen Diskussionskultur, in welcher alle Meinungen Platz haben. Wir danken allen Teilnehmern herzlich für ihre Unterstützung und unseren Mitgliedern und Besuchern für das grosse Interesse!
Autor: Hptm Florian Müller, Vizepräsident